„Wo geht der Kapitän hin?“, fragte er neugierig. „Und was ist die Mara?“
Gibbli schwieg. Dachte er wirklich, sie würde ihm das verraten? Verdammt, wenn er sie so anblickte und noch einmal fragen würde, täte sie das vielleicht sogar.
„Du traust mir nicht“, sagte er nach einer Weile und setzte ein Lächeln auf.
Selbst wenn, hätte sie kein Wort hervorgebracht. Sie schluckte.
Er griff in eine Tasche an der Seite seines Beines und zog seine leere Hand wieder hervor. „Dein Kapitän offensichtlich auch nicht. Ich wollte sie ablegen. Zur Sicherheit, du verstehst?“
Gibbli antwortete ihm nicht. Sky hatte es irgendwie geschafft, ihm seinen Strahler abzunehmen, bevor er gegangen war. Der Kapitän besaß ein besonderes Talent dafür, ausgerechnet immer Waffen zu stehlen.
„Also gut, Training“, sagte Djego. „Zeig mir, was du kannst Gibbli. Greif mich an.“
Nervös stand sie da. Sie sollte ihn einfach angreifen? Wie konnte sie in so ein Gesicht schlagen oder es auch nur versuchen? Treffen würde sie ja sowieso nicht, aber etwas in ihr weigerte sich, es zu tun. Er trat einen Schritt auf sie zu und Gibbli wich vor ihm zurück. Warum musste sie sich nur so dumm anstellen? Mit Sky war es leicht, ihn kannte sie. Djego war ein Fremder. Zugegeben, ein sehr gut aussehender Fremder. Unvermittelt sprang er auf sie zu und packte sie an der Schulter. Hastig riss sie sich los und wollte weglaufen. Er erwischte sie von hinten und legte einen Arm um ihren Hals, den anderen um ihren Bauch.
„Fass mich nicht an!“, schrie Gibbli und versuchte, ihn von sich loszumachen.
„Dafür ist es bereits zu spät.“
Sie wand sich und schlug wild um sich, doch sein Griff wurde nur enger. Die Stellen an ihrem Hals, die er mit der Haut seines Unterarmes berührte, kribbelten. Sie krallte sich mit beiden Händen an ihm fest, um ihn wegzudrücken. Wenn er noch stärker zudrückte, würde er ihr die Luft abschnüren! Der Arm um ihren Bauch wanderte langsam tiefer. Nein! Das durfte er nicht!
„Weg!“, brüllte sie panisch.
„Denkst du, ein Angreifer wird darauf hören? Du musst dir schon etwas Effizienteres ausdenken“, sagte er und sog die Luft über ihr ein, als würde er an ihren Haaren riechen. Seine Hand wanderte weiter nach unten und verschwand zwischen ihren Beinen.
Sie wimmerte. „Nicht!“
„Du fehlst mir, Gibbli. Was meint er damit?“
An Abyss‘ Messer kam sie nicht ran. Es steckte, Skys Worte unbeachtet, noch immer in ihrem Stiefel. Das Werkzeug, kam es ihr in den Sinn. Sie tastete mit einer Hand an ihren Oberschenkel zur Tasche und ergriff den ersten Gegenstand, der ihr zwischen die Finger kam. Hastig schwang sie ihn nach oben. Und traf. Djego keuchte, lockerte seinen Griff und stolperte nach hinten. Sofort fuhr Gibbli herum und trat ein paar Schritte zurück. Blut tropfte aus einer Platzwunde zwischen seinen Haaren und rann durch die rostroten Locken vor seinem linken Ohr hinab.
„Das … war gut. Unerwartet“, murmelte er und fasste sich an die Stirn.
Zitternd nahm Gibbli wahr, dass es sich bei dem Gerät in ihren Fingern um den Lötkolben handelte. Ausgerechnet den musste sie erwischen! Ein Werkzeug, das sie mittlerweile verabscheute. Dennoch, sie hatte ihn getroffen! Verblüfft über ihren Erfolg betrachtete sie seine Finger, mit denen er das Blut weggewischt hatte. Im nächsten Moment fixierte er sie wieder und sprang nach vorne. Djego riss sie mit sich. Der Lötkolben rutschte aus ihrer Hand und sie prallten beide am Boden auf. Gibbli mit dem Rücken voran und Djego auf sie. Mit aller Kraft wollte sie ihn wegdrücken. Doch es gelang ihr nicht. Er saß auf ihr und hielt sie unten.
„Ich hätte wirklich gerne eine Antwort auf meine Frage, Gibbli.“
Er war älter. Trainiert. Und ein Mann. Er war ein Elitesoldat. Und er presste ihre Hände über dem Kopf gegen das harte Metall. Sie würde an kein Werkzeug mehr herankommen.
„Geh weg“, flüsterte sie.
Warum hatte er nur diese verdammten, türkisblauen Augen, die jetzt ein paar Zentimeter über ihr auf sie herab funkelten? Gibbli schluckte, als seine Nasenspitze immer näher auf sie zukam. Viel zu nah! Sie streckte sich und versuchte, sich wegzudrehen. Es war zwecklos. Er rieb über ihren Bauch und presste sich dann gegen ihren Unterleib und sie damit noch stärker an das Metallgitter des Bodens. Plötzlich traf ihn etwas von der Seite, kurz bevor er ihre Lippen berührte. Benommen kippte Djego weg.
„Runter von ihr!“, befahl Sky, packte ihn noch während er fiel grob an den Schultern und warf ihn auf den Boden, wo er bewegungslos liegen blieb. „Bist du verletzt?“ Er half ihr hoch.
Gibbli schüttelte den Kopf. „Nein, ich … ich hab ihn getroffen!“, rief sie aufgeregt. „Hast du das gesehen? Er blutet!“
Der Kapitän nickte. Für einen Augenblick zogen sich seine Mundwinkel nach oben. Einen Moment lang dachte Gibbli, Sky wäre endlich einmal zufrieden mit ihr, doch er sagte nichts.
Djego richtete sich neben ihnen auf und stützte sich mit den Händen am Boden ab. „Kapitän Sky! Bitte, das war ein Missverständnis!“, sagte er röchelnd.
Sky zog wortlos Djegos Strahler aus seiner Uniformjacke und warf ihm die Waffe zu. Kurz verzog er seine Augenbrauen zusammen. „Zur Sicherheit, du verstehst.“
„Verzeiht, ich wollte nicht … ich dachte … ich hatte nicht vor, ihr etwas zu tun.“
Der Kapitän wollte gerade etwas erwidern, als ein lautes Donnergrollen um sie herum einsetzte. „Nicht gut“, knurrte er und blickte kurz nach oben.
Gibblis Miene änderte sich schlagartig. „Ist das …?“
Über ihnen erstreckte sich massiver Fels. Sie befanden sich mitten auf der Plattform. Sie würden es nicht bis zu einem Unterschlupf schaffen.
Bevor Gibbli etwas tun konnte, packte Sky sie, drückte sie an sich und schob sie Richtung Boden. Sie zog ihre Knie dicht an den Körper. Dann setzte schon das Beben ein. Fest an seine Uniform gepresst kniete Sky über ihr und zog den Kopf ein. Er verzog das Gesicht, als er von einem abgesplitterten Stück Fels getroffen wurde. Kleinere Brocken rieselten von der Decke herab. Einer verfehlte Djego knapp. Staub wirbelte auf. Einige der Sonnenstücke bewegten sich leicht in der Luft. Dann stoppten die ruckelnden Bewegungen so schnell, wie sie gekommen waren.
„Dieses Beben war stärker“, sagte Djego außer Atem und setzte sich auf.
„Erkläre mir das“, verlangte Sky, als sie wieder standen. Er rieb sich die Seite, schien jedoch nicht stark verletzt zu sein. „Stärker als was?“
Gibbli blickte beunruhigt über die Plattform. Gesteinsbrocken und ein paar getroffene Sonnenstücke lagen um sie verteilt. Einen weiteren Riss konnte sie nirgends entdecken.
„Als das zuvor“, sagte Djego „Vor drei Tagen. Und das vor einer Woche. Sie werden mit jedem Mal stärker. Jack hat bereits Untersuchungen eingeleitet und Ilias Plotz von den Kursen abgezogen. Er leitet die Geologengruppen. Sie kommen kaum noch mit den Messungen nach. Bisher blieben ihre Berechnungen aber ohne Ergebnisse. Niemand kann sich erklären, woher das kommt und warum. Es sollte nicht sein!“
Beunruhigt betrachtete Gibbli die Felswände. „Da war kein Beben.“
„Ich versichere euch, da waren welche, mehrere, wir verlieren ständig Leute deswegen!“, widersprach Djego.
„Möglicherweise haben wir es nicht bemerkt“, murmelte Sky. „Die Mara muss eine Schutzvorrichtung dagegen besitzen.“
„Kapitän, darf ich gehen? Ich bin da unten für ein paar Soldaten verantwortlich und sollte nachsehen, ob es ihnen gut geht.“
Sky nickte düster. „Verschwinde.“
Gibbli blickte ihm nach. Trotz des Bebens fühlte sie sich erleichtert, als Djego zum Rand der Plattform rannte. Er benutzte nicht die Rampe nach unten, stattdessen kletterte er die goldenen Wände hinab und verschwand hinter einem Vorsprung.
„Das ist meine Schuld“, sagte Sky mit zusammen gekniffenen Augen. „Ich dachte, ich kenne ihn. Ich hätte nicht erwartet, dass er das macht.“
Gibbli hob ihren Lötkolben auf und betrachtete das Werkzeug nachdenklich. „Aber ich hab ihn getroffen. War das … schlecht?“
„Nein. Aber du hättest trotzdem gegen ihn verloren. Und es hätte gar nicht erst soweit kommen dürfen.“ Er legt eine Hand auf ihre Schulter und blickte sie so durchdringend an, dass sie versucht war, zurückzuweichen. „So etwas darf er nicht tun, auch nicht im Training. Verstehst du das, Gibbli?“
Sie presste beschämt die Lippen aufeinander. Natürlich hatte Sky Recht. Aber was konnte sie denn dafür, was Djego tat?
„Ich sorge dafür, dass du nicht mehr ohne mein Beisein auf ihn treffen wirst. Du wirst die Mara nicht mehr verlassen.“
Gibbli hob entrüstet den Kopf. „Was?“
„Wir alle werden die Mara nur noch verlassen, wenn es nötig ist. Ich verstehe jetzt, was Steven meinte. Sie ist er einzig sichere Ort. Er muss sie so konstruiert haben, dass diese … wie nannte er sie … Zeitgravitationserschütterungen, nicht hindurch dringen. Wir müssen überlegen, wie wir weiter vorgehen. Ohne die Tiefseemenschen brauchen wir einen neuen Plan. Diese Nachricht von Abyss wirft alles um.“
Der Kapitän hatte tatsächlich vor, die Mara in ein Gefängnis zu verwandeln! Gibbli wollte ihm gar nicht mehr zuhören. Doch als Abyss‘ Name zur Sprache kam, horchte sie auf. Im nächsten Moment bereute sie es.
„Wir beenden das Training. Ich muss einen Weg finden, den Oceaner zu erreichen, wo immer er auch steckt. Ich bin mir sicher, er weiß mehr über diese Risse, als er uns verraten will. Das nächste Mal, wenn er mir unter die Augen kommt, wird er reden, das versichere ich dir.“
Sky bedeutete ihr, ihm zu folgen. Seine Schritte hallten schon über die Plattform, doch Gibbli blieb auf der Stelle stehen. Das konnte er nicht machen! Erwartete der Kapitän ernsthaft, dass sie da mitspielte? Und die anderen erst. Wenn Steven und Abyss zurückkamen, würden sich die beiden gewiss nicht von ihm einsperren lassen.
Als er merkte, dass sie ihm nicht hinterherging, drehte er sich um und kam wieder näher. „Diese Beben sind gefährlich. Und wie es aussieht, ist es Djego vielleicht leider auch. Du bist doch sonst so sicherheitsbesessen, was hat sich geändert?“
Dieses dumme Spiel! Das hatte sich geändert. Dieses dämliche Spiel von Steven. „Zeig mir, wie man schießt. Jetzt“, sagte Gibbli kalt.
„Jetzt?“
„Ja! Jetzt!“ Sky öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Doch Gibbli kam ihm zuvor. „Du hast gesagt, du bringst es mir bei! Ich hab alles mitgemacht, ich hab alles getan, was du verlangt hast und jetzt, wo ich das erste Mal jemanden getroffen habe, willst du das Training einfach so beenden? Das ist nicht fair!“
Für einen Moment harrte er bewegungslos aus, dann sagte er knapp: „Okay.“
Sie riss überrascht die Augen auf. „Wirklich?“
„Es widerspricht allem, was einem auf der Akademie beigebracht wird. Andererseits, in den vielen Tagen, die wir jetzt trainieren, bist du nicht ein einziges Mal darauf gekommen, etwas anderes einzusetzen, als dich selbst. Du hast es nicht gewagt, mich mit einer Waffe anzugreifen. Deinem Werkzeug, … irgendetwas. Das ist wenigstens ein kleiner Fortschritt.“
„Du sagtest, wir trainieren ohne Waffen. Ich sei noch nicht bereit dafür.“
„Richtig, solange du dachtest, wir trainieren ohne Waffen, warst du das auch nicht.“
„Warte, heißt das, ich hätte dir einfach nur den Strahler abnehmen müssen und …“
„Ja. Ich bin mir sicher, früher oder später hättest du es getan. Ich hoffte, dass du irgendwann die Geduld verlierst. Ich wollte, dass du selbst darauf kommst. Es hätte sich festgebrannt, mehr als wenn ich dir alles vorkaue. Ich trainiere dich nicht für einen Wettkampf. Du sollst dich verteidigen können, mit allem, was du besitzt. Ein Kampf im wirklichen Leben kennt keine Regeln. Dein Gegner wird nicht vermeiden, dir ins Gesicht zu schlagen oder unfaire Mittel anwenden, nur weil irgendein Gesetz das verbietet. Versteh das nicht falsch. Du bist jetzt bereit dafür, schießen zu lernen. Doch um eine Schusswaffe bei dir zu tragen, wäre es zu früh. Nur das mit Djego ändert zu meinem Bedauern die Situation. Wir werden jetzt …“
Gibbli nickte und hörte ihm nicht mehr zu. Djego hatte ihr das hervorragend vorgeführt. Ob es das war? Eine Vorführung? Eine Show? Hatte er nicht gesagt, es sei ein Missverständnis? Wollte er sie vielleicht nur provozieren, damit sie sich wehrte?
„Hey! Deine Gedanken sind wieder irgendwo, aber nicht hier!“
Gibbli fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. „Ich … ich bin hier“, flüsterte sie.
„Das, was wir gleich machen werden, lässt man einen Schüler nicht in den ersten Jahren tun. Eigentlich lässt man es ihn nie tun, bis er damit irgendwann konfrontiert wird. Ein Fehler, wenn du mich fragst. Aber wir sind ja auch nicht auf der Akademie und hier bin ich dein Lehrer. Also wirst du das jetzt lernen. Du musst. Und da es vorerst unser letztes Training ist, sollten wir es möglichst effizient gestalten.“
Die beiden schlichen an Räumen vorbei und zwischen Gebäuden die goldenen Gänge entlang. Gibbli fiel auf, dass überall Schrottteile herum lagen. Durch das Beben hatten sich offensichtlich einige Maschinen zerlegt. Goldstücke lagen verstreut auf den Wegen und in einigen Wänden hatten sich dünne Risse gebildet. Rohre, die an den Decken der Stockwerke über ihnen verliefen, waren gebrochen. Aus manchen trat heißer Dampf aus. Gibbli war sich sicher, dass es nicht klug sein konnte, sich so weit hinunter zu wagen und ihre Neugierde, was der Kapitän vor hatte, verwandelte sich langsam in Unbehagen. Bisher waren ihnen keine Soldaten begegnet. Im achten Stockwerk blieb Sky vor einer Ecke stehen. Er packte sie und zog sie in einen Seitengang zwischen zwei Häusern. Auf der anderen Seite der Ecke befand sich ein Hauptweg. Sie zogen sich zurück in die Schatten runder Säulen. Der Kapitän berührte mit einem Finger seine Lippen. Da drangen auch schon Stimmen durch die Luft.
Nervös blickte Gibbli auf die Waffe in ihrer Hand. Judy Bless‘ Name stand darauf. Vermutlich hatte Sky im selben Zug das Ding gestohlen, als er ihr den Strahler von Dixland ausgehändigt hatte. Das Gerät fühlte sich schwer an und gefährlich. Ehrfürchtig fuhr sie über die eingravierte Sonne. Das Zeichen der Flotte, das Zeichen der Regierung, das nur Elitesoldaten tragen durften. Es prangte auf den Uniformen, all den Besitztümern, allen Ausrüstungsgegenständen und allen U-Booten der Flotte. Gibbli hatte noch nie die echte Sonne gesehen. Manchmal drangen die wärmenden Strahlen ganz schwach durch die oberen Schichten des Ozeans.
„Schieße sie nieder“, flüsterte Sky kalt und riss Gibbli aus ihren Gedanken.
Mit geweiteten Augen stieß sie einen überraschten Laut aus, als der Kapitän sie einfach in den Gang hinein schubste. Die beiden Soldaten wirbelten herum. Einer öffnete verdutzt den Mund. Der andere fuhr mit der Hand an eine umgehängte Tasche seines Oberschenkels. Gleich würde er seine Waffe zu fassen bekommen! Gibbli hob beide Arme. Zitternd lag der Strahler in ihren Fingern. Doch die beiden Soldaten waren schneller. Bevor Gibbli etwas tun konnte, zischten zwei Schüsse an ihr vorbei. Die Männer schrien. Dann fielen sie um. Sky hatte selbst geschossen.
„Mitkommen“, knurrte der Kapitän, packte sie am Unterarm und zog sie mit sich, auf die leblosen Gestalten zu.
Gibbli wimmerte auf. Das ging ihr alles zu schnell! Knapp einen Meter vor den beiden Soldaten ließ er sie wieder los. Sky nahm ihnen die Waffen ab, während Gibbli hinter ihm stehen blieb.
„Warum?“, flüsterte sie.
„Das war dein Wunsch, schon vergessen? Wie weit hast du gedacht, als du das von mir verlangtest?“ Er trat auf Gibbli zu und stellte sich neben sie. „Schießen zu können, ohne jemanden erschießen zu können, ist vollkommen sinnlos. Ich bringe dir bei, wie man überlebt. Ich zeige dir, was sie auf der Akademie versäumen. Das, was du im echten Leben brauchst. Denn in der Realität wirst du auf echte Menschen schießen, nicht auf irgendwelche Attrappen! Wenn du hier plötzlich zögerst, nur weil dein Ziel lebendig ist, bist du es bald nicht mehr. Behalte die beiden im Auge, sie werden gleich wieder aufstehen.“
„Nein!“, entfuhr es Gibbli. „Die sollen liegen bleiben!“
„Ich lasse dich kein unschuldiges Wesen umbringen“, knurrte er scharf.
„Dann lass uns gehen, bevor sie-“
„Nein“, sagte Sky bestimmt. „Wir gehen, wenn du es begriffen hast. Hier“, er deutete auf einen Schalter an ihrer Waffe. „Du musst es hier umstellen. So betäubst du deine Gegner nur. Erhöhst du die Stärke“, er schob den Schalter ein Stückchen weiter, „wird die Wirkung durchdringender. Je weiter du schiebst, desto mehr Energie löst sich und desto härter triffst du. Tödlich wird der Strahler erst, sobald der Schalter ganz links steht. Und das auch nur, wenn du deinen Gegner an der richtigen Stelle triffst. Mach dich bereit.“
„Was?“
Sky seufzte. Er packte ihre Hand, in der sie die Waffe hielt, umschloss ihre Fingern mit den seinen, richtete den Strahler auf die Soldaten und drückte ab. Einmal, zweimal. Dann ließ er sie los. Gibblis Finger zitterten. Sie hatte es tatsächlich getan! Ihre Gedanken erstarrten.
„Ich hab sie erschossen!“, murmelte sie, ohne diese Worte wirklich zu begreifen.
„Auf sie geschossen. Und ich tat es“, berichtigte der Kapitän. „Das nächste Mal wirst du abdrücken. Wir wiederholen das hier so lange, bis du das schaffst. Und glaub mir, für die beiden ist das alles andere als angenehm.“
„Warum machst du das?“
Der Kapitän kniete sich neben sie. „Sieh mich an.“ Er nahm ihr Gesicht und drehte es zu sich. Unbehaglich blickte Gibbli in die schwarzen Augenimplantate. „Weil ich nicht mit Bestimmtheit weiß, ob ich immer dabei sein werde, wenn du Djego oder sonst irgendeinem Soldaten begegnest. Gibbli, das ist wichtig. Ich kann nicht sicher sagen, ob das dort oben von ihm gespielt war oder nicht. Wir werden zwangsläufig weiter mit ihm zu tun haben. Egal ob er auf unserer Seite steht oder nicht, wenn der Fall eintreten sollte, dass du ihm noch einmal alleine begegnest, will ich, dass du auf ihn schießt. Das ist ein Befehl. Du wirst nicht abwarten, du wirst nicht zögern, du wirst ihn nicht auf dich zugehen lassen, er wird gar nicht erst so nahe kommen, dass er auch nur ein Haar von dir berühren könnte, denn du wirst auf ihn schießen. Hast du das verstanden?“
Gibbli wollte den Kopf schütteln. Djego hatte ihr geholfen, er hatte gesagt, dass er nicht vorhatte sie zu verletzen und das hatte er auch nicht getan, oder? Dank ihm hatte sie zum ersten Mal jemanden getroffen!
„Antworte!“ Ein Nein als Antwort würde Sky bestimmt nicht zulassen.
„Ja.“ Sie sah ihm an, dass er ihr nicht glaubte.
Doch er nickte leicht. „Zeig mir, dass das keine Lüge war. Dreh dich um und schieße.“
Gibbli wandte sich den Soldaten zu. Die beiden begannen sich gerade wieder zu regen. Sie hob den Strahler mit wackeligen Händen. Dann zwang sie sich zur Ruhe und drückte ab. Zwei Mal.
Demonstrativ erhob Gibbli die Waffe und drehte den Regler auf ganz links. Entschlossen blickte sie Sky an. „Gehen wir jetzt, bitte? Denn wenn du mich noch einmal dazu zwingst, werde ich sie nicht mehr betäuben.“
„Manchmal vergesse ich, dass du auch ein Oceaner bist.“ Sky stützte sich an der goldenen Wand ab und stand auf. „Weg hier.“
Gibbli steckte den Strahler in ihre Werkzeugtasche und folgte ihm.
Sky hatte ihnen tatsächlich verboten, die Mara ohne ihn zu verlassen! Den Rest des Tages durchsuchte Gibbli genervt die Mara nach passenden Gegenstände, um mit dem Bau von Abyss‘ Hand zu beginnen. Oder eher einer Maschine, um später die Finger zu testen und sie mithilfe von elektrischen Impulsen bewegen zu können. Denn ohne Nervenzellen, die Steven für sie auftreiben sollte, würde sie nicht weit kommen. Von dem Oceaner fehlte noch immer jede Spur. Der Kapitän schickte einen Can los und versuchte, ihn mit verschiedenen Signalen oceanischer Technologie der Mara zu erreichen. Bisher vergeblich. Was Gibbli am meisten nervte, war, dass er sie kaum noch aus den Augen ließ. Am nächsten Tag versuchte sie, die Mara zu verlassen, um vor dem Mittagessen eine Runde durch die Stadt zu laufen, wie sie es mittlerweile gewohnt war. Das U-Boot erschien ihr dafür viel zu klein. Doch Sky ertappte Gibbli dabei und schickte sie zurück in den Maschinenraum. Missmutig bemühte sie sich, eine Leitung so zu manipulieren, dass sie Botenstoffe eines organischen Körpers auffangen konnte und diese in eine Art Strom umwandelte. Wenn ihr dieser Mechanismus gelang, wäre es möglich mithilfe der Nervenzellen einen Übergang zu den Metallfingern zu schaffen. Gibbli fühlte sich unruhig. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um etwas, was sie nicht richtig erfassen konnte. Sie musste sich bewegen, irgendetwas tun. Sie hatte überlegt, sich mit ihrem neuen Strahler zu beschäftigen. Er faszinierte sie, gleichzeitig flößte er ihr Respekt ein. Gibbli hatte ihn mehrmals hervorgeholt, um ihn dann wieder in ihrer Tasche verschwinden zu lassen. Sie schaffte es nicht, sich an das Gefühl zu gewöhnen, ihn in Händen zu halten. Warum kam Abyss nicht endlich zurück? Wo war dieser dämliche Steven? Warum meldeten sich Nox und Bo nicht mehr? Und welche Absichten hatte dieser Djego? Sicher würde er die Mara bald finden. Genervt packte sie zwei Kristalle viel zu fest und drückte sie in eine Öffnung. Fast wären die kleinen Steinchen zersprungen. Oh nein, das war die falsche Leitung!
„Achtung!“, rief Gibbli, als Samantha plötzlich um die Ecke kam.
Es knisterte. Funken flogen durch die Luft. Samantha hob schützend eine Hand und wich zurück, während Gibbli einen Draht zog, um die Verbindung zu unterbrechen.
„Verdammt, verdammt, verdammt“, murmelte sie und besah sich das Chaos.
Der Strom war von ihrem Experiment auf eine andere Maschine der Mara übergesprungen. Schwarzer Rauch stieg daraus empor und wurde vom angrenzenden Luftfilter eingesogen.
„Was war das?“, fragte Samantha. Sie hielt einen Teller mit frisch gebackenem Brot in Händen.
Mit einem flauen Gefühl betrachtete Gibbli die Maschine. Wie konnte das passieren? Sie war die Technikerin! Sie war gut darin! Sie war … abgelenkt. Sky würde ausrasten, wenn er das erfuhr. Nein, der ruhige Kapitän würde sie nicht anschreien. Er würde ihr einfach den Kopf abreißen und das völlig gefasst und gelassen, als täte er das jeden Tag.
„Ist es schlimm?“, fragte Samantha und trat näher.
„Nein“, antwortete Gibbli knapp. Es war verdammt schlimm!
„Kriegst du das wieder hin?“
„Ja“, sagte Gibbli und presste panisch die Zähne aufeinander. Mit etwas Zeit, Stevens Hilfe und einigen Ersatzteilen, von denen sie genau wusste, dass sich eins davon sicher nicht auf der Mara befand, würde sie das wieder hinbekommen. Vielleicht.
„Ich glaube, es hört auf zu rauchen“, sagte Samantha. „Das ist gut, oder?“
Gibbli nickte. Sie waren so gut wie tot. Das Teil, sie kannte den Namen nicht, das die gefühlten Frequenzen so umwandelte, damit sie zusammenpassten, war völlig verschmort.
„Was genau war das?“, fragte Samantha neugierig und hörte sich dabei ihrer Schwester Bo ziemlich ähnlich an.
„Nichts Wichtiges.“ Das Wichtigste! Gibbli hatte den Schutzschild der Mara zerstört! Er war nicht mehr mit dem Energiekreislauf verbunden. „Du solltest dir isolierende Stiefel zulegen.“
„Und du solltest aufhören, das U-Boot unter Strom zu setzen“, entgegnete Samantha. „Kein Wunder, dass du so mies drauf bist, wenn du kaum isst!“
Gibbli entfernte ein verschmortes Röhrchen mit durchgebrannten Drähten und zog einen Handschuh aus, um es genauer zu untersuchen. In Gedanken ging sie die Teile durch, die sich in einem der Lagerbereiche befanden, doch gefühlt passte bei keinem die Frequenz zusammen. Sie glaubte sich daran zu erinnern, so etwas Ähnliches schon einmal gesehen zu haben. Oben in der Stadt, unter den Teilen, die Bo, Nox und Samantha zusammen getragen hatten. Wenn sie es schaffte, das Ding anzupassen, wäre es vielleicht möglich, den Schild auch ohne diesen verschmorten Umwandler wieder in Gang zu setzen.
„Ich muss hier raus“, sagte Gibbli. „Kannst du ihn ablenken?“
Samantha hielt ihr den Teller entgegen. „Du hast heute Morgen schon wieder nichts gefrühstückt.“
„Bitte!“ Sie musste das unbedingt vor dem nächsten Beben reparieren.
Samantha presste die Lippen aufeinander. „Dort draußen ist es gefährlich. Dein Kapitän sagte, wir sollten nicht-“
„Ich esse eins, okay, dafür lenkst du ihn ab!“ Gibbli nahm sich ein Stück Brot von Samanthas Teller.
„Meinetwegen. Ich kann dich ja doch nicht davon abbringen.“
Hastig rannte Gibbli durch die Gänge der Stadt. Die Waffe in ihrer Werkzeugtasche fühlte sich hier draußen doch ganz gut an. Die Erinnerung an Djego weniger. Gleichzeitig hoffte sie, ihm wieder zu begegnen. Gibbli konnte sich einfach nicht erklären, warum. Aber das war jetzt sowieso unwichtig. Sie hatte das Ersatzteil im obersten Stockwerk gefunden. Jetzt musste sie es nur rechtzeitig zurück zur Mara schaffen, um es zu modifizieren.
„Warte!“, rief plötzlich jemand.
Gibbli erkannte seine Stimme sofort. Ein Kribbeln stieg in ihrem Bauch hoch. Sicher hatte er die Mara gefunden und beobachtet und nur darauf gewartet, sie abzupassen. Gibbli ignorierte ihn und rannte einfach weiter. Erleichtert stellte sie fest, dass Djego ihr nicht folgte. Schade, dachte sie und scheuchte diesen Gedanken beiseite. Verflucht, was dachte sie da, das war gut! Sie musste die Mara so schnell wie möglich reparieren. Hoffentlich erzählte Djego dem Kapitän nicht, dass er sie gesehen hatte. Sky würde so enttäuscht von ihr sein!
Plötzlich tauchte vor ihr eine Gestalt aus einem Seitenweg auf. Gibbli bremste erschrocken ab und kam schlitternd zum Stehen. Skys Worte in Erinnerung zog sie ihren Strahler und richtete ihn direkt auf ihn. Oh nein! Er hatte einen anderen Gang genommen, um ihr den Weg abzuschneiden!
„Tu das nicht! Lass es mich erklären.“ Djego hob vorsichtig seine Arme.
„Lass mich vorbei!“, rief Gibbli mit hoher Stimme. Sie hatte dafür doch keine Zeit! Verdammt, sie hätte längst schießen sollen. Der Kapitän hatte es gesagt. Warum wollte ihr Finger einfach nicht auf diesen dummen Knopf drücken?
„Hör mir zu! Das mit gestern tut mir leid. Es war nicht meine Absicht, dich zu berühren. Ich wollte dir nicht zu nahe treten.“
Djego trat einen Schritt auf sie zu. Gibblis Hand fing an zu zittern. Was sollte sie tun? Sie erinnerte sich daran, die Waffe auf Töten gestellt zu haben.
„Ich dachte nur, das würde dich dazu bringen, mich anzugreifen und damit lag ich richtig, oder? Bitte verzeih mir.“
Während er sprach, kam er noch näher und ihre Waffe berührte jetzt seine Uniform.
„Nicht!“, rief sie.
„Hab keine Angst.“ Seine Hände bewegten sich wie in Zeitlupe.
Die Waffe in ihren Fingern wackelte leicht. „Ich schieße!“
„So etwas kündigt man nicht an, so etwas tut man einfach“, sagte Djego argwöhnisch.
Dann umfasste er vorsichtig ihre Hände. Gibbli zuckte zusammen, als seine Haut auf die ihre traf. Doch er drückte sie nicht weg. Ihr Atem beschleunigte sich.
„Wenn du jetzt abdrückst, dann durchlöcherst du meine Brust. Knapp an der Lunge vorbei.“ Seine Stimme wurde fester, wahrscheinlich, weil sie es noch immer nicht geschafft hatte, abzudrücken. „Das tut weh, aber es würde mich nicht davon abhalten, über dich herzufallen. Es würde mich lediglich wütend machen und mich dazu bringen, dich zu verletzen.“ Er bewegte ihre Hand mit der Waffe ein Stück weiter. „Das hier wäre schon eher etwas, worauf du schießen solltest. Ich würde verbluten.“ Er bewegte ihren Arm weiter. „Halsschlagader und Luftröhre. Sofortiger Tod.“ Und jetzt führte er sie an seine Stirn. „Kopfschuss. Ich würde einfach umkippen.“ Gibbli schluckte. „Und jetzt zielst du direkt auf mein Herz. Du könntest jetzt abdrücken und wärst mich für immer los. Aber ich wäre sehr traurig, wenn du mir mein Herz brichst, Gibbli.“
Er ließ sie los. Gibblis Haut fühlte sich plötzlich kalt an, da wo er ihre Hände berührt hatte.
Dann streckte er ihr seinen Arm entgegen. „Freunde?“
Unsicher schüttelte sie den Kopf und wich ein Stück von ihm zurück.
„Lass mich das von gestern wieder gut machen.“ Djegos rostrote Locken fielen ihm über die Stirn, als er sich nach unten beugte und etwas in seiner Tasche suchte.
Die Waffe noch immer erhoben, beobachtete Gibbli, wie er sein EAG herauszog und darauf etwas tippte.
„Ich gebe euch eine nützliche Information, was hältst du davon? Hier, steck deinen dran.“
„Was ist das?“, fragte sie misstrauisch.
Langsam ließ Gibbli ihre Waffe ein wenig sinken. Der Bildschirm des Gerätes leuchtete hell. Djego hatte eine Datei geöffnet. Die Abbildung sah ein wenig aus wie eine Karte mit Nummern. Diese Nummern fanden sich in angehängten Tabellen wieder, mit vielen Namen und Zeiten.
„Ich sage dir, was das ist. Das ist der Wachplan von Jacks Soldaten für die nächsten zwei Wochen. Es ist nicht jeder Gang eingezeichnet, aber grob die einzelnen Etagen. Damit wisst ihr, wann sie wo sein werden. Zeig es deinem Kapitän, das wird ihn freuen.“
Gibbli öffnete überrascht den Mund. Schnell holte sie ihr eigenes EAG heraus, bevor Djego es sich anders überlegen konnte. Sie steckte die beiden zusammen, um die Datei zu kopieren.
„Sind wir jetzt Freunde?“, fragte er, während er sein Gerät wieder abzog.
„Vielleicht“, murmelte Gibbli unsicher, gleichzeitig freute sie sich. Er war nett. Er hatte sich entschuldigt. Und er hatte ihnen eine Information gegeben, die Sky von Nutzen sein konnte.
„Vielleicht also. Nun, Vielleichtfeunde hört sich besser an als Keinefreunde. Es war mir wie immer eine Ehre, dich zu treffen. Bis bald, Gibbli.“ Djego grinste, dann drehte er sich um und verschwand in einem Seitengang.
Beeindruckend, wie geräuschlos er sich dabei bewegte! Zwar nicht komplett lautlos wie Abyss es konnte, aber seine Kampfstiefel erzeugten kaum Geräusche, wenn sie auf dem Metallboden auftrafen. Oh nein, dachte sie. Mit einem Mal wurde Gibbli klar, dass Sky von ihrem heimlichen Ausflug in die Stadt erfahren würde, wenn sie ihm diese Datei übergeben würde. Der Schutzschild kam ihr wieder in den Sinn. Die Reparatur hatte höchste Priorität! Eilig lief Gibbli den Gang weiter. Als sie den Weg zur Mara einschlug, wäre sie vor Schreck fast gestolpert. Hinter ihm standen die Schleusen des U-Bootes noch offen. Der Kapitän höchst persönlich schritt direkt auf Gibbli zu! Und er sah wütend aus! Verdammt wütend.
„Du hast die Mara verlassen“, knurrte er leise, als sie vor ihm stand.
„Ich …“, begann sie.
„Du hast meinen Befehl missachtet. Sag mir warum.“
„Ich wollte nicht … ich …“
„Du warst bei ihm“, sagte Sky kalt.
Sie biss die Lippen zusammen. Ein Schuldgefühl machte sich in ihr breit. Sie hatte doch nicht auf ihn schießen können!
„Verflucht! Gibbli, das ist kein Spiel! Bist du okay? Was hat er getan?“
„Gar nichts, es geht mir gut!“, versuchte sie ihn zu beruhigen. „Er ist auf unserer Seite! Hier!“ Sie beeilte sich, ihr EAG hervorzuziehen und öffnete die kopierte Datei von Djego.
Im nächsten Moment fing der Boden unter ihren Füßen an zu wackeln. Die Wände des Ganges zitterten und ein drohendes Grollen brach über sie herein.
„Zurück auf die Mara!“, rief der Kapitän, während er Gibbli schon mit sich riss.
Sie stolperte hinter ihm her, hinein in die Schleusen. Hastig schloss Sky die Öffnung. Doch das Beben hörte nicht auf! Beunruhigt blickte Gibbli nach oben. Sky tat es ihr gleich, während er sie festhielt. Wenn die Außenwände brachen, würden sie unter Massen von Wasser begraben werden! Und wie stabil war eigentlich der mit Wasser gefüllte Höhlengang, der über der Andockstelle nach oben durch das Gestein führte? Sie riss die Augen auf. Würde das U-Boot ohne den Schild überhaupt noch dem Druck standhalten? Aber wenn es bis jetzt nicht implodiert war, musste es das.
Die Mara war robuster als erwartet. Nach ein paar Sekunden verstummte das grollende Geräusch und die goldenen Wände der Andockstelle draußen beruhigten sich langsam.
„Das sollte nicht möglich sein. Erkläre mir, was das bedeutet.“ Der Kapitän blickte Gibbli fragend an.
Sie zuckte ängstlich mit den Schultern. Er durfte es nicht erfahren! Das mit dem Schutzschild war ihre Schuld. Wenn er es jetzt herausfand, wo er sowieso schon enttäuscht von ihr war, würde er sie sicher wegschicken!
Sky fragte sie nicht weiter aus. Er war sichtlich noch immer sauer auf Gibbli, wegen ihres heimlichen Ausflugs. Doch nach ein paar scharfen Worten ließ er sie in Ruhe und sie stahl sich hinab in den Maschinenraum.
Ein Gutes hatte das Beben: Sie durften die Mara wieder verlassen. Da Djego offensichtlich auf ihrer Seite stand und die Beben sich jetzt gleichermaßen auch auf das U-Boot erstreckten, gab es keinen Grund mehr, sich auf die Mara zurückzuziehen. Bis auf die Ruhe vor ungebetenen Gästen bot das U-Boot keine Vorteile. Sie waren nirgendwo mehr sicher. Während der Kapitän weiterhin versuchte, Steven zu erreichen, versuchte Gibbli den Schutzschild zu reparieren. Wenigstens hatte er nicht herausgefunden, dass es ihre Schuld war.
So sehr Gibbli sich auch Mühe gab, das Teil aus der Stadt zu bearbeiten, es wollte nicht funktionieren. Sie hatte eine Seite Stück für Stück verbogen, damit die Schwingungen sich änderten, aber die Verbindungen passten einfach nicht zusammen. Dafür wäre ein Adapter nötig und so einen allein selbst zu bauen, würde ewig dauern. Gibbli fragte sich, warum bei Ocea dieser dumme Goldklumpen so viel Technologie miteinander vermischt hatte. Klar, es war stabil, aber das bedeutete auch, dass man ein Teil nicht einfach ersetzen konnte! Gibbli erinnerte sich an ein Bauteil, das in der Flotte verwendet wurde. Damit könnte es funktionieren. Doch sich von Jack einen Adapter zu besorgen wäre Wahnsinn. Sie überlegte kurz Djego zu fragen, aber so ganz traute sie ihm dann noch nicht. Was, wenn er Sky verraten würde, dass sie daran schuld war, dass der Schutzschild der Mara nicht mehr funktionierte? Nein, niemand durfte das erfahren! Gibbli wünschte sich Abyss herbei. Ihm wäre es völlig egal, was für einen Mist sie gebaut hatte. Auch wenn er oft ausrastete, er hätte ihr sicher helfen können. Abyss hatte keine Ahnung von Technik, aber irgendwie zog er immer wieder Ideen scheinbar spontan aus dem Nichts hervor. Als würde er mit allem klar kommen. Als würde er mit allem rechnen, egal, um was es ging.