Einige der Meereswesen, die draußen am Fenster vorbeihuschten, warfen ihnen böse Blicke zu. Die Anwesenheit des U-Bootes schien ihnen nicht zu gefallen, doch sie griffen auch nicht an. In einem kleinen Tal stellte Sky schließlich die Maschinen ab. Es bot ihnen ein wenig Deckung.
Während Abyss und Bo ein paar Vorratskisten in dem MARM verstauten, kam der Kapitän auf Gibbli zu und nahm sie beiseite.
„Du bleibst hier“, sagte er entschlossen. „Jemand muss das U-Boot bewachen.“
Aber das könnte ja Cora tun? Verwirrt blickte Gibbli in seine schwarzen Augen. Sie würde gerne denjenigen kennenlernen, der Abyss‘ bei sich aufnahm. Den Mann, der wahrscheinlich mehr über Ocea wusste, als alle Landmenschen zusammen.
„Du glaubst nicht ernsthaft, dass ich Abyss oder Bo hier alleine lasse. Die zerlegen mir noch das Boot!“
Was sollte das? Gibbli war die Technikerin, wenn jemand dieses U-Boot zerlegte, dann sie! Sky drehte sich um und ging. Gibbli rang mit sich selbst, ob sie sich ihm widersetzen sollte. Am liebsten hätte sie laut geflucht. Es war die gleiche Situation wie immer. Wie sie das hasste! Am Ende hielt Gibbli immer ihren Mund und nahm alles stillschweigend hin. Aber das hier war nicht mehr die Akademie. Er konnte sie doch nicht einfach hier lassen!
„Warum ich?“, rief Gibbli ihm doch noch hinterher.
Vor dem Eingang zum MARM drehte Sky sich noch einmal um und blickte sie so ablehnend an, dass Gibbli einen Schritt zurücktrat.
„Weil ich dich nicht dabei haben will“, meinte er kalt. Das war unmissverständlich direkt. „So lange du nicht tauchst, weigere ich mich, dich irgendwohin mitzunehmen. Ich sagte bereits, ich brauche Leute, auf die ich mich verlassen kann.“ Mit diesen Worten ließ der Kapitän sie stehen und Gibbli blieb mit der kleinen Kind-KI im U-Boot zurück.
Seine Worte fühlten sich an, wie ein Schlag ins Gesicht. Mit dem Gefühl versagt zu haben, stand Gibbli einige Minuten einfach nur da und betrachtete den verschlossenen Zugang zum MARM. Wusste Abyss Bescheid? Bestimmt hätte er Gibbli mitgenommen.
Nach einer Weile trottete sie langsam am runden Tisch in der Zentrale vorbei. Eine der Konsolen im vorderen Teil zeigte den Start vom MARM. Gibbli stellte sich vor das große Frontfenster und starrte nach draußen, dem kleinen Beiboot hinterher. Sie hörte, wie Cora hinter ihr auf einen der Stühle sprang und anfing zu lachen. Leise sang die KI ein oceanisches Lied vor sich hin, dessen Text Gibbli nicht verstand.
Einige Minuten vergingen, als Gibbli unverhofft ein Einfall kam. Bo! Sie war schon öfter in ihren Körper geschlüpft. Bisher noch nie bewusst, aber sie schaffte es mittlerweile erfolgreich, sich diesen Körperwanderungen zu entziehen. Vielleicht klappte es auch umgekehrt, wenn sie sich anstrengte. Einen Moment rang sie mit sich, ob es rechtens wäre, ob es für Bo okay wäre. Gibbli würde nicht wollen, dass das jemand bei ihr machte. Sky hätte es ihr sicher auch verboten. Aber sie war nicht der Kapitän und sein kranker Zwang zur Gerechtigkeit konnte ihr gestohlen bleiben. Ihre Neugierde siegte.
Also schloss Gibbli die Augen und stellte sich vor, wie es sich anfühlte, den Körper zu verlassen. Mit Bo’s Augen zu sehen und ihren Ohren zu hören …
Die drei hatten an der kleinen Kuppel angedockt, die einsam zwischen zwei Hügeln am Meeresboden lag. Sie standen in der Schleuse und warteten, bis ein stämmiger Mann auf dem Bildschirm erschien. Er trug einen stoppeligen Bart und seine leicht ergrauten Haare standen wirr in alle Richtungen. Die kleinen Augen zu Schlitzen verengt, funkelte er sie misstrauisch an.
„Ja?“, fragte er unwirsch.
„Wir stören nicht lange, bitte lass uns ein. Es geht-“, begann Sky, doch der Mönch unterbrach ihn.
„Wer seid ihr? Was wollt ihr hier?“
Abyss hielt sich im Hintergrund und machte keine Anstalten ihm zu antworten. Bevor Sky erneut etwas sagen konnte, trat Bo einfach direkt vor die Kamera. „Ich bin Bo“, sagte sie lächelnd.
„Bo? Und wie noch? Bist du ein Hochseemensch? Siehst nicht aus wie einer? Woher kommst du?“
„Bothilda Bamba Sir. Ich bin ein Landmensch-Tiefsee-Hybrid und ich komme vom Land. Woher kommst du?“
„Hm … von hier.“ Er musterte sie erneut. „Wirklich? Du hast über dem Wasser gelebt?“
„Ja. Es war nicht besonders schön dort. An der Küste steht ein großes Krankenhaus und-“
„Könnten wir das drin besprechen?“, mischte sich Sky wieder ein.
„Und wer bist du?“, fragte der Mönch wieder.
„Skarabäus Sky. Lass uns bitte eintreten“, drängte er.
„Sky? Dieser Flottenführer von der Akademie?“
„Ehemaliger Flottenführer“, verbesserte der Kapitän ihn. „Wir müssen dir ein paar Fragen stellen. Sofort.“
Seine plötzliche Eile überraschte Bo. Normalerweise besaß ihr Kapitän ziemlich viel Geduld.
„Was ist los?“, murmelte Abyss von hinten.
„Irgendetwas stimmt hier nicht“, wisperte Sky zurück.
„Aha. Und wer steht da hinten noch?“, rief der Mönch laut. Sein Kopf kam so nah an den Bildschirm, dass Bo jede einzelne Pore seiner Nase erkennen konnte.
„Das ist Abyss“, sagte sie und strahlte ihn an.
„Abyss wer?“
„Du kennst mich“, grummelte Abyss und trat endlich nach vorne.
„Aaron, ich hab dir gesagt, ich lasse niemanden rein, der mir nicht seinen Namen nennt, also?“
„Jetzt mach schon auf, alter Schwachkopf!“
Der Mönch ging nicht auf seine Beschimpfung ein. „Nein.“
„Sag einfach deinen Namen“, wies ihn Sky ungeduldig zurecht.
„Ja, wie heißt du eigentlich richtig?“, fragte jetzt Bo neugierig.
Abyss sah sie grimmig an. „Aaron“, murmelte er genervt.
„Aaron und weiter?“, ertönte jetzt die Stimme des Mönchs wieder aus dem Lautsprecher. Er schien nicht sehr erfreut zu sein.
„Guglhupf, du dummer Kackschwanz und jetzt lass uns rein!“, schrie Abyss ihn wütend an. Der Blick des Mönchs verdüsterte sich weiter.
„Du heißt Aaron Guglhupf?“, flüstert Bo erheitert.
„Halt die Klappe“, schnauzte Abyss sie an. „Das ist nicht mein richtiger Name!“
„Bothilda Bamba. Skarabäus Sky. Aaron Guglhupf. Willkommen in den Schleusen meines wunderschönen Heims. Mein Name ist Andreas Guglhupf. Ganz recht, ich besitze einen Namen, also hör endlich auf, mich als ‚der Mönch‘ zu bezeichnen Aaron! Und jetzt lebt wohl.“
„Mr. Gugl…“, begann Sky, überlegte es sich jedoch nach Abyss‘ Schnauben anders und sagte stattdessen: „Andreas, lass uns bitte hinein.“
„Nein. Ich weigere mich. Verschwindet!“
Sky blickte sich hilfesuchend zu Abyss um. Der verschränkte die Arme und schwieg.
„Warum dürfen wir nicht?“, fragte Bo stattdessen an den Mönch gewandt.
Dieser blickte sich unruhig um, zögerte, begann dann aber wieder scheinbar wütend zu sprechen. „Ich werde euch sagen warum. AARON DU HAST MEINE TAUCHKAPSEL GEKLAUT!“
„Die lag in Nokos Schrottplatz, du hättest sie nie von dort abgeholt“, sagte Abyss genervt. „Siehst du jetzt, dass das hier eine blöde Idee war? Geh‘n wir wieder“, wandte er sich dann an Sky.
„Nein“, sagte der Kapitän.
„Und was ist mit meinem Geld, Junge?“, fragte der Mönch zornig aus dem Bildschirm. Es war schon ein starkes Stück, Abyss als einen Jungen zu bezeichnen, nahm er doch fast die halbe Schleuse an Platz ein. „Ich habe hier Abrechnungen von Festluftflaschen, Neodymmagneten und einem Stabilisierungsgenerator! Wo bei allen guten Geistern hast du den aufgetrieben? Was bei Oceas Wächtern hast du schon wieder ausgeheckt?“ Genervt rollte Abyss mit den Augen, doch der Mönch war noch nicht fertig. „Du hast schon wieder jemanden umgebracht! Keine Ausrede, es stand in der Zeitung! Hatten wir nicht ausgemacht keine Morde mehr?“
„Der Punkt geht an ihn“, sagte Sky leise, woraufhin ihm Abyss den Rücken zukehrte.
Das Gesicht des Mönchs auf dem Bildschirm war mittlerweile rot angelaufen.
„Andreas“, ergriff Sky jetzt wieder das Wort, „bitte öffne die Schleuse, sicher hat mein Kommunikationsoffizier da etwas missverstanden.“
„Kommunikationsoffizier?“, fragte der Mönch argwöhnisch, als könnte er nicht glauben, dass Abyss an einen anständigen Job gekommen war.
„Ja und ich bin die Krankenschwester“, rief Bo begeistert dazwischen. „Wir fahren nach Ocea!“
„Achso?“ Etwas genervt nahm der Mönch einen tiefen Atemzug. „Sagt das doch gleich!“ Sein Gesichtsausdruck änderte sich jetzt schlagartig. Er richtete sich auf, straffte sein weißes Gewand und lachte sie freundlich an. Dann schaltete sich der Bildschirm aus. Das Schleusentor fuhr knackend auf und gab ihnen den Weg frei.
„Irgendetwas stinkt hier“, sagte Sky, als sie den Gang betraten.
Bo versuchte, den Geruch zu erschnuppern, von dem ihr Kapitän sprach. „Ich rieche nichts.“
„Kannst du das mit deiner Nase überhaupt?“, fragte Abyss und blickte sich verächtlich um. Man merkte, dass er nicht gerne hier war.
„Manchmal glaube ich es“, sagte Bo. „Der Kuchen von meiner Schwester hat nach Erdbeeren und-“
„Still“, unterbrach Sky ihre Worte. „Dieser Gestank kommt mir vertraut vor. Also wo ist jetzt der Mönch?“
Bo zwang ihren Mund zu einem Grinsen und folgte ihrem Kapitän den Gang entlang. Ständig erinnerte sie sich an Sam und immer wieder kamen ihr Zweifel, ob sie wirklich noch lebte. Da sie das nicht beweisen konnte, würde Sky keine Rettungsaktion zulassen. Aber sobald er Ocea erreicht hatte, würde Bo ihn darum bitten, ihr zu helfen, Sam zu finden. Bis dahin wollte sie sich so gut es ging ablenken und versuchen, glücklich zu sein. Das war sie ihrer Schwester schuldig. Und Ablenkung war hier unter dem Meer so leicht zu finden. Allein dieser Weg zum Wohnraum des Mönchs bot unglaublich viele interessante Dinge. Besetzt mit den seltsamsten Gerätschaften, reihten sich die Regale an den Wänden aneinander. Am liebsten wäre Bo stehen geblieben, um alles genauer zu erkunden, doch Sky schien es eilig zu haben.
Die drei betraten den größeren der zwei Räume, welcher fast die gesamte Innenfläche der Kuppel einnahm.
Neugierig sah sich Bo um. Alles war mit altmodischen Vertäfelungen verziert. Es wirkte etwas unordentlich und düster, dennoch gemütlich. Der hintere Wohnbereich lag völlig im Dunkeln.
Ein leises Knistern durchdrang den Raum.
„Feuer? Das ist nicht euer Ernst!“, sagte Sky, der fassungslos vor einem offenen Steinofen stehen geblieben war. Dieser bildete nicht nur die Wärme-, sondern auch die Lichtquelle der Kuppel. Er beleuchtete den gesamten vorderen Teil des Wohnbereiches.
Abyss zuckte mit den Schultern und blickte Sky düster an.
Bo tapste beeindruckt durch den Raum. Das Feuer flackerte hell und ließ die Schatten der Möbel umhertanzen. Da standen mehrere bequeme Sofas, mit eingerollten Armlehnen und geknöpfter Polsterung, um einen aufwendig gestalteten Holztisch. Auf diesen Sofas lagen bemusterte Stoffkissen und einige dicke Decken. Unter einer Theke befand sich ein kleiner Kühlschrank, außerdem standen überall Regale mit unzähligen Karten, verschiedensten Gerätschaften und Sammlerstücken aller Art.
„Abyss, sind das echte Bücher? Aus richtigem Papier?“, fragte Bo erstaunt und betrachtete eines der Bücher, das aufgeschlagen auf einer weißen Spitzentischdecke lag. Die meisten der Bücher trugen schillernde Einbände und wirkten zerschlissen.
„Fischhaut“, antwortete Abyss knapp.
„Hier bist du also aufgewachsen? Es ist wunderschön!“, rief Bo, während sie auf die Außenwand zuging. Sie schob einen mit Kordeln behangenen Rüschenvorhang zur Seite. Dahinter befand sich ein Schlaflager am Boden und eines der vielen, großen Fenster am Rand der Kuppel. Draußen stob ein Fischschwarm hektisch davon und machte einem größeren Hai Platz.
„Aufgewachsen? Pah! Der Junge war kaum hier. Immer unterwegs und verstrickt in irgendwelche Schwierigkeiten und illegale Geschäfte.“ Der Mönch trat aus dem hinteren, nicht beleuchteten Teil des Raumes hervor. Er reichte Bo gerade einmal bis zum Hals. Mit seinem weißen Gewand wirkte er leicht deplatziert in dieser Umgebung. „Und wo wir gerade bei Schwierigkeiten sind“, er warf Abyss einen wütenden Blick zu, „wo ist das Mädchen, Aaron? Das du entführt hast! Was hast du mit ihr angestellt, hä?“
„Das geht dich nichts an“, meinte Abyss, der mit verschränkten Armen noch immer in der Türöffnung zum Gang stand.
„Andreas, ich kann dir versichern, dem Mädchen geht es gut“, sagte Sky.
„Hmpf. Ach ja? Und was wollt …“ Der Mönch stutzte und machte plötzlich große Augen. „Bei Oceas Wächtern, Aaron, wer ist sie?“
„Wer ist wer?“, fragte Abyss genervt.
„Die Frau natürlich! Meine Güte, dass man dir immer alles aus der Nase ziehen muss! Dass ich das noch erlebe! Das ist ja wundervoll! Überraschend, ja, aber wirklich unglaublich!“
„Du sprichst wie immer in Rätseln, alter Mann!“
„Ach komm schon, ich sehe es dir an, du bist verliebt Junge! Erzähl mir von ihr, ist sie hübsch? Ich will alles hören! Wann wirst du sie mir vorstellen?“
„Bin ich gar nicht, du Dummbeutel“, knurrte Abyss.
„Oh, ich finde schon noch raus, wer sie ist. Ich bin entzückt! Das ist phantastisch, endlich hört man mal etwas Gutes von dir, Junge! Herrlich! Jetzt schau mich nicht an, als würdest du mich gleich zerfleddern, diesen Blick kannst du dir bei mir sparen!“
Abyss fletschte die Zähne, doch bevor die Situation außer Kontrolle geriet, räusperte sich Sky und zog die Aufmerksamkeit des Mönchs auf sich.
„Ah natürlich, ihr wollt also nach Ocea? Dann setzt euch, wenn es denn unbedingt sein muss.“
Bo strahlte den alten Mann begeistert an und ließ sich sofort auf dem weichen Polster einer Couch nieder. Sie federte leicht zurück. Sky blieb vor dem Feuer stehen und auch Abyss rührte sich keinen Millimeter von der Türöffnung weg. Der Mönch goss sich eine rosafarbene Flüssigkeit in ein Glas, das auf dem Tisch stand.
„Ich freue mich ja, dass ihr an einen alten Mann wie mich denkt“, sagte er und ließ den Blick abschätzend über seine Gäste schweifen. „Aber warum genau kommt ihr damit zu mir?“
Bo bemerkte, wie Sky sich beunruhigt zu Abyss umdrehte, als wollte er ihm etwas sagen, dann ergriff sie das Wort. „Wir dachten, du könntest uns helfen, Ocea zu finden. Wir wissen nicht, wo genau sich die Stadt befindet.“
Andreas lachte nervös auf. „Pah! Ich habe Jahre nach dieser Stadt gesucht und sie nie gefunden. Denkt ihr, ich würde noch hier sitzen, wenn ich wüsste, wo sie liegt?“
„Du musst doch irgendetwas herausgefunden haben, gibt es gar keine Hinweise?“, fragte Bo enttäuscht.
„Der Junge hat sich zwar immer dagegen gesträubt, aber ich habe Aaron nicht umsonst die oceanische Sprache beigebracht. Ein Leben reicht eben nicht aus, um den gesamten Meeresboden dieser Welt abzusuchen. Nun, meine Hoffnung, er würde die Suche nach meinem Ableben fortsetzen-“
„Er war hier“, unterbrach Sky den Mönch mit tiefer Stimme.
Dieser zuckte nervös zusammen. „Was? Wer? Wovon sprichst du Flottenmensch?“
„Jack war hier.“ Sky drehte sich zum Feuer hin. „Ich rieche ihn.“
„Jack ist immer noch hier“, erklang plötzlich eine unheilvolle Stimme aus dem dunklen Bereich des Wohnraums. Im selben Augenblick spürte Bo, wie jemand hinter dem Sofa einen Strahler an ihren Kopf hielt.
Der Mönch sprang ruckartig auf. „Ich hab euch gewarnt! Aaron, du dummer Junge, warum hast du das nicht bemerkt? Ich wollte euch nicht einlassen! Ihr hättet wieder verschwinden sollen!“
Abyss zog ein Messer aus seinem Stiefel. „Ach, aber ihn hast du einfach so reingelassen?“
„Er nannte mir seinen vollen Namen!“
„Vollpfosten! Du hättest uns vorhin einfach sagen können, dass er hier ist!“, brüllte Abyss ihn an.
„Ich habe dich doch wegen deiner Einkäufe ausgeschimpft, du weißt genau, dass ich zuerst nach dem entführten Mädchen gefragte hätte, das war der Hinweis!“, schrie der Mönch zurück.
„Hinweis? Wie hätte ich DAS denn bitte erraten sollen? Du benimmst dich ständig wie ein Irrer!“
„Vielleicht hat er mich ja bedroht, du dummer-“
„Ruhe!“, rief der Mann hinter Bo. Sie wollte sich umdrehen, um ihn auch zu sehen. Aber er packte sie an einer ihrer Flossen, die links und rechts von ihrem Kopf zur Seite standen.
„He, das ist gemein, nicht die Ohren!“, rief Bo. Als würde er genau wissen, dass Tiefseemenschen das nicht mochten!
Ihr Kapitän, der noch immer am Feuer stand, drehte sich jetzt langsam um und machte nicht einmal den Versuch seine Waffe zu ziehen. Stattdessen steckten seine Hände in den Uniformtaschen und ein abfälliges Lächeln bildete sich auf seinem Mund.
„Sky“, sagte Jack leise. „Ich hätte es wissen müssen.“
„Lass sie los!“, knurrte Abyss und blickte von Sky zu Jack, während der Mönch sich langsam rückwärts in Abyss‘ Richtung bewegte.
Jack beachtete ihn nicht und sprach weiterhin nur zu Sky. „Die Gerüchte stimmen also. Man hat dich in Noko mit diesem Abschaum von Meermensch hier gesehen. Du suchst also immer noch nach Ocea. Ich hätte gehofft, dass dich der Rauswurf zur Vernunft bringt. Stattdessen heuerst du eine Mannschaft an, die dir bei deinem wahnwitzigen Plan behilflich ist.“
„Meine Angelegenheiten gehen dich nichts mehr an“, sagte Sky ruhig.
„Es hätte mir von Anfang an klar sein müssen, dass du dahinter steckst. Wenn es um die verbotene Stadt geht, bist du nicht weit. Die gestohlenen Gegenstände aus dem Archiv. Das Mädchen. Eine Entführung Sky! Ehrlich, das hätte ich nicht von dir erwartet.“
„Es interessiert mich nicht mehr, was du von irgendwem erwartest, Jack.“
„Mein Gott, du warst Flottenführer! Noch zwei Jahre und du hättest meinen Posten erhalten. Oberster Direktor aller militärischen Einheiten, war das nicht immer dein Ziel?“
„Pläne ändern sich.“
„Ich will dich sehen!“, rief Bo aufgeregt dazwischen und zappelte herum, um sich zu befreien. Es gelang ihr nicht.
„Ich dachte, hier den meist gesuchten Mann unter dem Meer zu erwischen. Stattdessen stellt sich heraus, dass mein berühmter Nachfolger hinter dieser Entführung steckt. Gratuliere Abyss. Du kannst dich glücklich schätzen. Skarabäus Sky hat dir deinen Titel soeben abgenommen.“
Abyss warf plötzlich sein Messer knapp über Bo hinweg, direkt auf Jack zu. Dieser ließ Bo los und wich ihm geschickt aus. Währenddessen sprang Bo auf und wirbelte herum, um ihn endlich anzusehen. Doch im nächsten Moment packte Sky ihren Arm und zog sie nach hinten, weg von Jack. In der anderen Hand hielt der Kapitän seinen Strahler auf die Gestalt hinter dem Sofa gerichtet. Bo konnte ihn nicht richtig erkennen. Dunkle Schatten lagen über seinem Gesicht, nur das flackernde Feuer spiegelte sich in Jacks Augen wieder. Seine Umrisse wirkten wie bei allen Soldaten der Akademie durchtrainiert unter der Kampfmontur. Er grinste.
„Raus“, befahl Sky, während er rückwärts Richtung Türöffnung ging.
„Lass mich ihn töten, Sky!“, knurrte Abyss hinter Bo.
„Ich sagte raus! Du hast genug Menschen auf dem Gewissen. Wir brechen auf. Sofort.“
Der Mönch öffnete bereits die Schleusen am Ende des Flures, während Bo zusammen mit Abyss den Gang noch entlang rannte und Sky ihnen Rückendeckung gab. Aber Jack folgte ihnen nicht. In der Ferne hörten sie ihn leise lachen.
„Wieso denkt Jack, du hättest Gibbli entführt? Ich hab sie doch mitgenommen. Und was meint er damit, ich kann mich glücklich schätzen?“, fragte Abyss, als sie eilig in die Schleuse stiegen und Sky als letztes die Tür erreicht hatte.
„Es heißt, dass du am Leben bleibst. Also freue dich.“
„Okay, ich freu mich“, gab er freudlos zurück „Und was heißt das jetzt?“
„Ich bin der Kapitän.“
„Versteh ich nicht. Denkt er etwa, du hättest mir befohlen sie zu entführen? Was soll der Mist? Erklär’s mir!“, verlangte er von Sky, als sie den MARM betraten.
„Vielleicht denkt er das. Doch es hat keine Bedeutung. Dieses Verbrechen werden sie mir anlasten. Der Kapitän trägt immer die Schuld an den Taten seiner Crew. Wenn du deine sogenannte Scheiße baust, ist es mir erlaubt, dich dafür zu maßregeln. Erstreckt sich deine Tat jedoch auf etwas außerhalb der Leute, für die ich die Verantwortung trage, muss ich auch nach außen hin als Konsequenz die Strafe in Kauf nehmen. Kurz gesagt, wenn du jemanden umbringst, der unter meinem Schutz steht, ist es mir erlaubt dich zu töten. Wenn du allerdings jemanden umbringst, der nicht zu meiner Crew gehört, werden sie mich dafür hinrichten.“
„Ich hatte einen guten Grund, diesen Kerl zu töten! Außerdem hab ich ihn umgebracht, bevor wir aus dem Gefängnis flohen, da kanntest du mich nicht mal. Und mit Gibblis angeblicher Entführung hattest du nichts zu tun.“
„Es spielt keine Rolle, wann du deine Verbrechen begangen hast. Ein Kapitän wählt seine Mannschaft sorgfältig, es ist seine Pflicht, ihre Vergangenheit zu prüfen. Ich bin für euch und eure Taten verantwortlich.“
„Das ist krank!“
„Nein, das ist das Gesetz! Es ist für alle Landmenschen im Meer gültig! Du warst nie auf der Akademie Abyss, sonst würdest du das begreifen. Du bist als Außenseiter aufgewachsen. Du kennst die Mentalität der Menschen hier unten nicht.“