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Kapitel 11: Das Zusammentreffen (Bis in die tiefsten Ozeane)

Grelles Scheinwerferlicht flammte auf und stach in ihre Augen. Ein lautes TONK war zu hören. Dann hallte eine dröhnend raue Stimme durch ihre Tauchkapsel:
„Hey, Dieb! Ich verlange meine Karte zurück!“
Jemand musste ein magnetisches Kommunikationskabel auf ihre Kapsel geworfen haben! Der Nebel in Gibblis Kopf lichtete sich wieder etwas. Irgendwoher kannte sie diesen Tonfall.
„Etwas stimmt nicht“, sagte jetzt eine Frauenstimme. „Die Kugel ist kaputt.“
Sie sah Abyss, der durch das kalte Wasser zur Konsole watete und über seinem Kopf ein Mikrofon aktivierte. „Sky? Seid ihr das?“, fragte er mit brechender Stimme.
„Das ist Abyss“, rief die Frau aufgeregt. „Hallo Abyss!“
„Hallo Bo“, murmelte Abyss.
Ein Mann mit schwarzen, unheimlichen Augen tauchte in Gibblis Gedächtnis auf. Es war tatsächlich der oberste Flottenführer!
Sie versuchte, zum Sichtfenster zu gelangen. Ihre Füße bewegten sich nur langsam. Das Wasser reichte ihr schon bis zur Taille. Draußen konnte sie ein eckiges Tauchboot erkennen, das sich zwischen ihre Kapsel und dem oceanischen Hangareingang geschoben hatte. Und saß dort nicht jemand, hinter dem anderen Sichtfenster? Der Mann dort drüben sah sie wohl auch.
„Sieht aus, als würdet ihr volllaufen“, ertönte Skys Stimme wieder. „Unsere Schleuse ist zu klein, um eure ganze Tauchkapsel aufzunehmen. Ihr müsst zu uns herüber tauchen.“
„Also … das geht nicht. Wir haben … hatten zwei Tauchanzüge. Jetzt ist es nur noch einer“, sagte Abyss. Gibbli erkannte, wie sein Atem in der Luft zu winzigen Tröpfchen gefror.
„Was willst du mit einem Tauchanzug? Zieht die Druckanzüge an!“, befahl der ehemalige Flottenführer.
Abyss warf Gibbli einen schockierten Blick zu. Sie riss die Augen auf und erbleichte.
„Ihr habt doch Tiefseedruckanzüge an Bord?“, fragte Sky wieder scharf, als er von den beiden keine Antwort erhielt.
„Ähm … nein“, gab Abyss leise zurück.
„Ihr seid geisteskrank!“, ertönte Skys Stimme durch die Kapsel. Gibbli konnte durch die Scheibe erkennen, wie er sich genervt eine Hand vors Gesicht hielt.
Sie spürte ihre Starre zurückkehren und wieder konnte sie sich nicht mehr bewegen. Bilder drängten sich in ihren Kopf. Da befand sich ein Kind im Wasser, ein kleines, mit weit aufgerissenen Augen. Sie versuchte, dagegen anzukämpfen. Ein blinkendes Licht ließ Gibbli wieder hochschrecken. Da draußen schwamm wirklich eine Frau! Sie trug einen Helm, welcher ein langes Kabel hinter sich her schliff und an dem das rote Lämpchen immer wieder aufblitzte. Ihr Mund bewegte sich. Das Kommunikationsgerät in ihrem Helm übertrug ihre Stimme: „Ich hole sie.“
„Was zum Guglhupf …“, Abyss blickte ungläubig aus dem Sichtfenster zu ihr hinaus.
Skys Stimme dröhnte wieder durch die Kapsel und Gibbli erkannte, dass der Mann hinter dem anderen Sichtfenster angestrengt durch die Scheibe starrte. „Bo! Wann bist du …“ Er hielt inne.
Gibbli erkannte sofort, was ihn so irritierte. Instinktiv tastete sie ihren eigenen Kragen an ihrem Taucherhelm ab. Diese Bo trug zwar einen Helm, nur der war völlig nutzlos über ihren Kopf gestülpt! Ihre Arme schauten unter einem Poncho hervor und ihre bloßen Füße schlängelten sich im Scheinwerferlicht hin und her. Sie schien überhaupt nicht zu frieren.
„Weiß sie …“, begann Abyss und brach ab.
„Ich glaube nicht“, sagte Sky. „Bo? Hörst du mich?“
Die Frau vor dem Fenster fuchtelte mit den Armen im Wasser herum. „Ja Kapitän! Was muss ich tun?“
Gibbli hörte ihnen nicht mehr zu. Gerade eben hatte das Wasser den unteren Rand ihres Sichtfensters am Helm erreicht und in ihr legte sich ein Schalter um.
„… das Metall herausziehe, wird das Wasser schneller steigen …“
Jetzt stand sie vollkommen unter Wasser.
„… Idee ist irre …“
Gibbli spürte Tränen aufsteigen. Da war ein Mann im Wasser, der sie festhielt. Der Mann aus ihren Alpträumen. Sie spürte eine Welle aus Schmerz, der sich über ihren gesamten Körper ausbreitete.
„… Karte! Mach schon …“
„… gib sie ihr! Sofort!“, dröhnte eine Stimme weit weg.
Der grausame Mann im Wasser schüttelte sie grob und grub seine ekligen Finger in ihre Haut. Es tat so weh! Dann veränderte sich sein Gesicht. Er sah plötzlich aus wie Abyss. Abyss, der sie an den Schultern gepackt hielt. „… gegen den Uhrzeigersinn, richtig?“
Alles um sie herum drehte sich. Der Mann aus ihren Alpträumen würgte sie erneut. Das Kind mit den aufgerissenen Augen trieb reglos umher. Wasser strömte in Gibblis Lungen. War das echt oder aus ihrem Traum? Nur noch weit entfernt nahm sie Fetzen von Stimmen wahr.
„… euch fest. Ich schubse euch jetzt …“
Noch einmal veränderte sich das Gesicht des grausamen Mannes und jetzt sah sie Abyss‘ Kopf im Wasser. Seine Haare schlängelten sich in alle Richtungen davon. Luftblasen entwichen seinem Mund und er riss die Augen auf, beinahe wie die aufgerissenen Augen des kleinen Kindes in ihren Alpträumen. Für einen Moment spürte sie einen Stich in ihrem Herzen, der nichts mit ihrem Traum zu tun hatte. Sie wollte nach ihm greifen, fühlte sich aber wie gelähmt.
Und ein Kribbeln stieg in ihr hoch. Dieses Gefühl, das man spürte, wenn ein Aufzug nach unten hin anfuhr. Dieser kurze Moment der Schwerelosigkeit.
Dann verlor sie ihn. Kleine Punkte tanzten vor ihren Augen und alles wurde dunkel.

 

Ein keuchendes Husten durchdrang ihr Bewusstsein. Fühlte sich so sterben an? Jemand spuckte Wasser. Von irgendwoher drangen plätschernde Geräusche an ihr Ohr. Sie spürte, wie sich jemand an ihrem Helm zu schaffen machte und ihn vorsichtig vom Kopf zog.
„Gibbli. Hey!“ Zwei kalte Finger legten sich an ihre Pulsader.
Sie schlug die Augen auf und blickte direkt in Abyss‘ Gesicht. Er lebte! Das Stechen in ihrem Herzen verschwand. Seine Wunde sah noch immer schlimm aus, aber das Wasser hatte einiges vom Blut weggespült. Dann wurde ihr jäh bewusst, wie nah er ihr war.
„Fass mich nicht an!“, schrie sie panisch und kroch rückwärts den Boden entlang von ihm weg.
Er grinste, schien erleichtert. Schnell atmend schnappte sie nach Luft. Sie lebten. Sie waren in diesem Wasser gewesen. Und sie lebten.
„Sind wir schon-“
„Ja.“
„Wenn wir … wenn wir hier …“
„Ja. Die Luft da draußen ist okay. Nicht gut, aber sie reicht“, sagte er schwer atmend.
Das U-Boot selbst musste das Wasser automatisch abgelassen haben. Das U-Boot! Aufgewühlt und erwartungsvoll zog sich Gibbli hoch. Sie befanden sich tatsächlich in ihm drin. Im Inneren eines oceanischen U-Boots!
„Bereit?“, fragte Abyss heißer.
Ihr Herz schlug bis zum Hals vor Aufregung. Sie nickte und er entriegelte die Luke.
Schwankend stieg er nach draußen und sie folgte ihm. Der Hangar war nicht allzu groß und alles schien aus goldenem Metall zu bestehen. Eine feine Rundlochgitterstruktur bedeckte den Boden. Das eckige Tauchboot von Sky lag ihnen gegenüber. Es passte gerade noch in die niedrige Halle. Direkt davor tapste Bo fröhlich durch das noch immer knöcheltiefe Wasser im Hangar. Ihren Helm trug sie unter dem Arm.
Ein dumpfes Geräusch, begleitet von spritzendem Wasser, ließ sie alle herumwirbeln. Kampfstiefel trafen auf Metall. Sky war aus dem eckigen Tauchboot gesprungen.
„Keiner bewegt sich“, sagte er in befehlendem Ton. Sein Arm erhob sich schnell und Gibbli erkannte den aufblitzenden Lauf einer Waffe. Das war derselbe Strahler, den er in der Akademie auf sie gerichtet hatte. Jetzt zeigte er direkt auf Abyss. Ohne Skys Brille sahen die Narben um seine schwarzen Augen herum richtig gruselig aus.
Abyss hob langsam eine Hand. Mit der anderen hielt er sich an der Tauchkapsel fest, um nicht umzufallen.
Auch Bo schwankte leicht. Sie war bei Skys Worten erstarrt, einen Fuß mitten in der Luft. Ihre bläulichen Schuppen schimmerten im Licht, das jetzt um sie herum aufflammte. Es schien von unzähligen winzigen Punkten auszugehen, die im Hangar herumschweben.
Skys Kopf drehte sich etwas nach rechts und jetzt erblickte er Gibbli. „Du?“
„Ich“, sagte sie, völlig überrascht über ihren Mut.
„Gut. Ihr kennt euch … Sky, das ist … Gibbli, meine Technikerin.“
„Deine?“ Die Stirn in Falten gelegt, schritt er langsam auf Abyss zu. Die Waffe in seiner Hand zuckte dabei bedrohlich.
„Ohne funktionsfähiges Boot … komm ich nicht … nach Ocea“, sagte Abyss.
„Du kommst ohne mich erst einmal überhaupt nirgendwo hin. Und ich will sie nicht an Bord haben. Sie ist ein Kind.“
„Ich bin 21“, warf Gibbli zornig ein. Sie war wütend auf Abyss wegen dem Wasser, weil er die Scheibe eingeschlagen hatte. Und wütend auf Sky, der sie so ablehnte und dem sie immer noch nachtrug, dass er sie in der Akademie zurückgelassen hatte.
Zu ihrer Überraschung berichtigte Abyss sie nicht.
„Sie kann oceanische Technologie bewegen, sie … besitzt die … DNA“, sagte er stattdessen.
„Lügt mich nicht an!“, knurrte Sky in einem Ton, der leise und dennoch so tief und durchdringend klang, dass Gibbli sich von ihm aufgespießt fühlte. Er stand jetzt direkt vor Abyss und die Waffe berührte beinahe dessen Brust.
„Fass sie an und ich brech dir alle Knochen“, sagte Abyss ebenso leise und völlig unbeeindruckt von der Waffe.
Sky schwieg einen Moment. Diese Worte schien er nicht erwartet zu haben. Gibbli ebenfalls nicht. Das war gruselig! Meinte er das ernst?
„Schön. Dann überzeuge mich.“ Sky hob berechnend seine buschigen Augenbrauen.
„Bevor du auf … schießt … mach dir klar … dass ich … der einzige hier bin … der Oceanisch nicht nur lesen … sondern auch sprechen kann.“ Gibbli erkannte, wie sehr er sich zusammenriss, um aufrecht stehen zu bleiben. Seine Hand klammerte sich jetzt so fest an ein Rohr der Tauchkapsel, als wollte er es zerquetschen.
„Darf ich mich jetzt wieder bewegen?“, fragte Bo dazwischen. Noch immer stand sie gefährlich schwankend mit einem Bein in der Luft an der selben Stelle.
Sky senkte langsam seine Waffe. Sichtlich genervt drehte er sich um, doch seine Stimme blieb ruhig. „Ja.“
Erleichtert stieß Gibbli die Luft aus ihren Lungen. Einen Augenblick später krachte es und Wasser spritzte über ihre Füße. Abyss war völlig erschöpft mit dem Kopf voran nach unten zu Boden gefallen, wo er bewegungslos liegen blieb.
Noch ehe jemand reagieren konnte, zischte es und ein rundes Tor an der Wand öffnete sich. Es gab den Blick auf einen Gang frei. Mitten in diesem Gang stand ein kleines Kind mit goldener Hautfarbe. Ihr Kopf war mit üppigen, goldgelben Korkenzieherlocken bedeckt. Direkt darauf saß, Gibbli traute ihren Augen nicht, ein Küken! Das Mädchen blickte die vier Neuankömmlinge mit großen Glubschaugen und breit grinsend an. Ihre goldenen Finger umschlangen den Griff einer Gartenschere.
„Ich hasse Kinder“, murmelte Sky in seinen Bart.

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